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Natur vor der Haustür

Ackerwildkräuter – ein wichtiger Beitrag zur Artenvielfalt in unserer Kulturlandschaft

Um das Bewusstsein für die notwendige Vielfalt auf unseren Äckern zu stärken, hat die Kreisgruppe Starnberg im BUND Naturschutz- und Jugendzentrum Wartaweil am 18. 11. 2023 einen Thementag veranstaltet, bei dem verschiedene Experten zu Wort kamen.

Wozu brauchen wir eine Ackerbegleitflora?

Die Vortragsreihe eröffnete Dr. Stefan Meyer, freiberuflicher Agrarökologe und Wissenschaftler an der Georg-August-Universität Göttingen und am Senckenberg Museum für Naturkunde Görlitz. Nach vielfältigen Einblicken in die Zusammenhänge des Agrarökosystems sowie Erläuterungen zum Begriff der „Segetalflora“ (lateinisch seges: Saat) und dem Werden und Wandel von Ackerwildkräutern in verschiedenen Habitaten berichtete Meyer über die Erkenntnisse aus dem ersten Jahr seiner Kartierungsarbeiten im Landkreis Starnberg.

Seit Beginn des Ackerbaus werden Kulturpflanzen von Wildpflanzen begleitet, und die Zahl dieser Begleiter ist seit dem Neolithikum zunächst stetig gewachsen. Während zu den einheimischen Vertretern der Segetalflora etwa das Einjährige Rispengras, die Quecke und die Ackerkratzdistel gehören, sind das Rundblättrige Hasenohr und der Ackerkohl schon früh eingewandert (Archäophyten). Als Beispiele für neuere Hinzukömmlinge (Neophyten) nannte Meyer Rispenhirsen, „Franzosenkräuter“ und Ambrosia.

Der technologische Fortschritt im Ackerbau stoppte diese Entwicklung allerdings zusehends. Heute gelten Ackerwildkräuter zu den am stärksten bedrohten Pflanzengruppen. Seit den 1950er-/1960er-Jahren hat ihr Bestand um mehr als 95% abgenommen. Zu den Ursachen dieses Einbruchs zählen der Einsatz von Kunstdünger und Herbiziden, die Auswirkungen der industriellen Landwirtschaft, die Effekte der Saatgutreinigung, die Nutzungsaufgabe ertragsschwacher Standorte sowie das Verschwinden von Feldrainen, Hecken und nassen Senken als Rückzugsräume und Sonderstandorte. Verstärkte Stickstoffdüngung fördert zudem konkurrenzstarke Arten, die Kalkung saurer Standorte führt zum Rückgang von Säurezeigern, vereinheitlichte Standortbedingungen sorgen für Monotonie, die dichte Einsaat von Getreide beschattet die lichtbedürftigen Wildkräuter am Boden, und die intensive Bodenbearbeitung sowie der Wegfall von Sonderkulturen wie Leinfeldern reduzieren den Bestand an Ackerwildkräutern weiter. Aus den aktuellen Gegebenheiten der Landwirtschaft formulierte Meyer ein „Trilemma“, bestehend aus den Bereichen Energie, Nahrung und Biodiversität.

Ackerkräuter schützen Boden und Fauna

Mit den Bemühungen zum Erhalt gefährdeter Ackerwildkrautarten bewahren wir das genetische Potenzial und schützen Ressourcen für Insekten und Feldvögel. Darüber hinaus fördert diese Art der Landwirtschaft den Humusaufbau und mindert die Erosionsgefahr. Auch direkte Zusammenhänge wurden in Studien erkennbar: So wirkt sich beispielsweise die Kornrade bei geringem Auftreten im Weizenfeld positiv auf den Proteingehalt des Getreides, den Kornertrag und die Biomasse aus. Selbst Feldhamster und Rüsselkäfer leben „gesünder“, wenn ihr Speiseplan nicht durch Monokulturen bestimmt wird. Als Beispiel für eine lebenswichtige Symbiose wies Meyer auf den Zusammenhang zwischen dem Stiefmütterchen und dem Kleinen Perlmuttfalter hin, der als einer der letzten Ackerschmetterlinge gilt und dessen Raupen ausschließlich an diesem Veilchen fressen.

Dramatischer Rückgang der Segetalflora

Ein Drittel der etwa 350 in Deutschland vertretenen Ackerwildkrautarten gilt heute als gefährdet. 90 von ihnen sind auf eine regelmäßige Bodenbearbeitung angewiesen. Vergleichsuntersuchungen zwischen den 1950-er/1960er-Jahren und 2009 haben einen Rückgang im Grad der Bodendeckung durch Segetalflora von 40% auf durchschnittlich 4% ergeben. Dabei fand die stärkste Verarmung im Feldinneren statt. Besonders dramatisch sind die hohen Verluste an Ackerwildkräutern für die Bienen, deren Nahrungsgrundlage sie darstellen. In einer Studie war der Bestand an Acker-Witwenblumen um 100% zurückgegangen, gefolgt von Acker-Vergissmeinnicht (-65%), Klatschmohn (-57%), Echter Kamille (-53%) und Wilder Möhre (-43%).

Erste Ergebnisse der Kartierung im Landkreis Starnberg

Stefan Meyer und Ralf Rauber (BUND Naturschutz) haben im Juni und Juli 2023 mehrere Hundert Felder im Landkreis Starnberg unter die Lupe genommen. Über 95% dieser landwirtschaftlichen Flächen, insbesondere der konventionell bewirtschafteten, waren floristisch stark verarmt. Auf 63 Feldern wurden Vegetationsaufnahmen durchgeführt. Die Ergebnisse: Unter den 166 aufgespürten Wildkräutern befanden sich immerhin 21 Rote-Liste-Arten. Insgesamt am häufigsten war der Persische Ehrenpreis (s. Abb.) vertreten, der heute fast auf jedem Acker zu finden ist. Die niedrigwüchsige Pflanze stellt keine Konkurrenz zur Kultur dar und schützt als Bodendecker vor Austrocknung. Erstmals im Landkreis, bei Etterschlag, wurde der stark gefährdete Portulak-Sumpfquendel (RL2) nachgewiesen, die auf überfluteten Ackernassstellen vorkommt. Zudem wurde wiederholt der Acker-Hahnenfuß (RL2) entdeckt, während die Suche nach dem Adonisröschen leider erfolglos blieb.

Die am häufigsten identifizierte Problemart (s. Abb.) auf den Äckern des Starnberger Landkreises war die Falsche Strandkamille, die sich durch den Einsatz salzhaltiger Düngemittel stark ausbreitet. Auch der Acker-Fuchsschwanz wurde oft zwischen den Ähren entdeckt. Er gilt als „gefürchtetes Ungras“, das mehrfache Herbizidresistenzen besitzt und durch Mähdrusch verbreitet wird.

Wie kann die Ackerwildkrautflora erhalten werden?

Zur Sicherung der Biodiversität auf dem Acker empfiehlt Stefan Meyer neben dem Verzicht auf Herbizide und Insektizide einen mehrskaligen Ansatz: die Etablierung von geförderten Ackerwildkraut-Schutzäckern, Ackerrandstreifen, weite Reihen und reduzierte Saatstärke für mehr Licht sowie insgesamt mehr extensiv bewirtschaftete Ackerflächen und flächigen Ökolandbau.

 

Erfahrungen bei der praktischen Umsetzung im Ackerwildkrautschutz

Von ihren Bemühungen zur Wiederansiedelung von Ackerwildkräutern im Rahmen des Bayerischen Naturschutzfonds berichtete Anna Kreppold von der Bioland-Naturschutzberatung Augsburg. Innerhalb des Projekts „Zukunftsperspektive für Bayerns Ackerwildkräuter“ für die Jahre 2023-2025 werden Ackerwildkräuter kartiert und eine kostenfreie Beratung zum Erhalt und zur Förderung dieser Pflanzen angeboten. Außerdem finden Öffentlichkeitsarbeit und Bildungsveranstaltungen sowie Maßnahmen zur Wiederansiedelung von Ackerwildkräutern im Fränkischen Jura und der Münchener Schotterebene statt. Das Saatgut hierfür mit Sorten wie Acker-Lichtnelke, Acker-Hahnenfuß, Acker-Steinsame, Acker-Rittersporn und Gewöhnlichem Frauenspiegel stammt aus einem Projekt der Bayerischen Kulturlandstiftung sowie aus Handsammlungen. Die Samen werden gesammelt, die Pflänzchen angezogen, auf geeignetem Boden gepflanzt, geerntet, die Samen verpackt und auf Bestellung an interessierte Landwirte zusammen mit Informationen verschickt. An ausgesuchten Stellen säen die Landwirte geeignete Ackerwildkräuter schließlich zusammen mit dem Getreide aus, in der Hoffnung, dass sie sich langfristig etablieren.

Über die letzten Jahre hinweg wurden Kreppold zufolge 50 Landwirte mit Ackerwildkrautsamen beliefert. Dadurch wurden 16 verschiedene Arten auf 105 Flächen wiederangesiedelt und die Erfolge über sechs Jahresfruchtfolgen kontrolliert. Auf besonders vielen Flächen kamen der Acker-Rittersporn, der Gewöhnliche Frauenspiegel und die Acker-Lichtnelke zum Einsatz, mit denen laut Kreppold die besten Erfolge erzielt werden konnten. Das Fazit der Naturschutzberaterin: Die Wiederansiedelung von Ackerwildkräutern in der Praxis ist möglich!

Landwirte berichteten aus der Praxis

Über seine praktischen Erfahrungen berichtete der Landwirt Roland Koböck, der sich im Rahmen einer Ackerwildkraut-Patenschaft, unterstützt vom BUND Naturschutz, der Thematik widmet. Sein Anliegen sei es, so Koböck, im Rahmen seiner landwirtschaftlichen Arbeit zur Artenvielfalt beizutragen. In seinem konventionellen Betrieb bestellt er 2,5 Hektar mit doppeltem Reihenabstand, düngt mit Pferdemist und verzichtet auf die mechanische Unkrautentfernung per Striegelung. Die Ackerwildkraut-Aussaat geschieht zusammen mit dem Getreide. Rittersporn und Frauenspiegel haben sich bereits etabliert. In diesem Umfeld finden auch Lerchen und Wachteln wieder einen Brutplatz zwischen den lichten Reihen des Getreides.

Den Erfahrungen Koböcks zufolge haben die Ackerwildkräuter selbst keinen negativen Einfluss auf Ausbeute und Qualität des Mehls. Im Gegenteil: Es gebe zwar noch keine wissenschaftliche Studie dazu, „aber der Müller war begeistert von der Qualität und Ausbeute des Mehls“, so Koböck. Das „Emmer-Mehl“ ist es bereits im Handel.

Die alljährlichen Führungen über die Felder locken zahlreiche Besucher an. Koböck will mit diesen Aktionen auf die Schönheit der blühenden Äcker hinweisen und Verbraucher und Kollegen für das Thema Ackerwildkräuter sensibilisieren.

Seine Sicht der Landwirtschaft schilderte auch Dr. Alfons Bauschmid, Zweiter Werkleiter bei den Stadtgütern München, die eine Fläche von insgesamt 1700 Hektar ausmachen. Ziel sei es, im Sommer 2024 alle Güter auf ökologische Landwirtschaft umgestellt zu haben. Auch auf den Stadtgütern ist die Förderung der Biodiversität ein wesentlicher Bestandteil. So werde beispielsweise mit alten Sorten gearbeitet, um deren genetisches Potenzial zu erhalten.

Bei Kartierungen wurden auf den Feldern bislang 26 Beikräuter identifiziert, darunter erwünschte und unerwünschte. Doch gerade Ackerdistel und Quecke haben laut Bauschmid große Probleme bereitet, weshalb die Ackerwildkräuter auf den landwirtschaftlichen Flächen der Stadtgüter bislang nicht so gerne gesehen würden. Derzeit werden grundsätzlich alle Beikräuter mechanisch reguliert, obwohl dem auch erwünschte Ackerwildkräuter zum Opfer fallen.

Fazit der Veranstaltung

Die erste Kartierung der Äcker im Landkreis Starnberg hat gezeigt, dass vor allem auf den ökologisch bearbeiteten Flächen dieser Region noch erfreuliche viele Ackerwildkräuter erhalten sind. Selbst seltene Arten wurden mehrfach entdeckt.

Ziel des Ackerwildkrautprojekts des BUND Naturschutz ist es, die Landwirte für den natürlichen Reichtum auf ihren Äckern zu sensibilisieren, damit durch Unachtsamkeit nicht noch mehr an Artenvielfalt verloren geht. Wir sind sehr gespannt auf die Ergebnisse der zweiten Kartierungsrunde im nächsten Jahr.

(Texte und Fotos der Veranstaltung: Ch. Starostzik)