Zur Startseite

Ortsgruppen

Artenschutz

Natur vor der Haustür

Klimaschutz allein reicht nicht!

Auch der Erhalt der Artenvielfalt muss wesentlicher Bestandteil unserer Bemühungen um die Wiedererlangung des ökologischen Gleichgewichts sein. Welche Rolle dieser Aspekt innerhalb des gesamten Gefüges spielt, legte Dr. Andreas Segerer, Präsident der Münchner Entomologischen Gesellschaft, in einem Vortrag eindrucksvoll dar.

 

Dass längst nicht nur die Klimakrise die Stabilität der Ökosysteme bedroht, sondern auch andere, sich gegenseitig beeinflussende Faktoren eine wichtige Rolle spielen, war der Ausgangspunkt des Vortrags „Insektensterben und planetare Belastungsgrenzen“ von Andreas Segerer im BUND Naturschutz- und Jugendzentrum Wartaweil am 3. Mai 2023.

Alarmierend ist auch der Artenschwund. Experten sprechen bereits von einem sechsten weltweiten Massenaussterben, welches parallel zur Industrialisierung zu beobachten ist. Als Beispiel für die Insekten nannte Segerer u. a. die Kleinschmetterlinge, von denen Untersuchungen der Münchner Entomologischen Gesellschaft zufolge bereits 9% ausgestorben sind – und zwar auch in Naturschutzgebieten und mit zunehmendem Tempo.

Dass Insekten, die 75% aller Tiergruppen ausmachen, systemrelevant seien, so Segerer, belegen deren Eigenschaften als Bestäuber von drei Viertel aller Nutzpflanzen, ihre Fähigkeiten als Recycling-Spezialisten, die tote Materie beseitigen sowie ihre Hilfe bei der Schädlingskontrolle. Nicht zuletzt bilde ihre hohe Vermehrungsrate die Lebensgrundlage vieler anderer Arten.

Eindrücklich beschrieb der Insektenforscher die Einflussfaktoren auf die Biodiversität, wie etwa die Art der Landnutzung. Indem sich die einstig traditionelle Landwirtschaft mit nährstoffarmen Böden zunehmend in Richtung intensiver Nutzung mit nährstoffreichem Land entwickelt hat, sind immer mehr Pflanzenarten verschwunden. Die Nährstoffbelastung liege heute um das 20-100-Fache höher als früher. Der Bestand an Magerwiesen sei um 97% geschrumpft. Hinzu kämen Flächenfraß, Bodenverdichtung, Abholzung und Nutzungsaufgabe, alles Faktoren, die zur Zerstörung ursprünglicher Lebensräume beitragen.

Eine weitere Gefahr für das ökologische Gleichgewicht ist die chemische Belastung der Böden durch Pestizide und Überdüngung. „Stickstoff erstickt die Artenvielfalt“, erklärte Segerer. Mit den Pflanzen verschwinden die Insekten, die auf diese Nahrung angewiesen sind. Zudem würden Futterpflanzen durch die Stickstoffdüngung giftig oder von den auf sie angewiesenen Insekten nicht mehr erkannt. Durch Düngung und häufige Mahd ändere sich das Mikroklima einer Wiese oder eines Ackers.

Insektizide wie beispielsweise Neonicotinoide haben eine lange Halbwertszeit und sind überall nachweisbar. In einer Studie aus dem Jahr 2021 (Brühle CA et al.) wurden von Mai bis August 2020 47 gängige Pestizide aus der Landwirtschaft in Insekten gefunden. Bevor Neonicotinoide EU-weit verboten wurden, konnte Neonicotinoid thiacloprid in 16 von 21 Naturschutzgebieten nachgewiesen werden.

Dabei ist das Artensterben bei Weitem kein neuartiges Phänomen. Das Problem sei seit über 150 Jahren bekannt, so Segerer. Schon im Jahr 1849 wurde von dem Ornithologen Johann Friedrich Naumann und Kollegen ein spürbarer Rückgang der Arten parallel zur industriellen und Agrarrevolution beklagt. Bereits zu dieser Zeit machten die Autoren der einschlägigen Publikationen hierfür Biotopzerstörung, Intensivierung, und Flurbereinigung verantwortlich. Gehör fanden sie nicht. Auch der Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit mahnte in „Die Grenzen des Wachstums“ von Dennis Meadows 1972 noch einmal ausdrücklich. Und nicht zuletzt warnten im Jahr 2017 mehr als 15.000 internationale Wissenschaftler die Menschheit in der Zeitschrift BioScience eindringlich vor den Folgen der schwindenden Biodiversität.

Für die Ökokrise in Deutschland machte Segerer in seinem Vortrag die intensive Landwirtschaft und den Flächenfraß verantwortlich. Eine ökologische Landwirtschaftsreform und die Verpflichtung zu mehr Nachhaltigkeit sieht er als zwingend notwendig. Um allen Bürgern einen eigenen Beitrag zu ermöglichen, empfiehlt der Biologe: die konsequente Vermeidung von Produkten der industriellen Landwirtschaft und Fischerei, die Reduktion des Fleischkonsums sowie die Gestaltung ursprünglicher Gärten mit einheimischen Pflanzen.


Diskussionsrunde zum Artensterben mit den Kandidaten der Landtagswahl 2023 aus dem Landkreis Starnberg

An den interessanten Vortrag von Andreas Segerer schloss sich eine Diskussionsrunde unter Leitung des Vorsitzenden der BN-Kreisgruppe Starnberg Günter Schorn an. Wir hatten alle Landtagskandidaten zunächst um einen kurze Stellungnahme zum Thema Artensterben gebeten.

 

Der Kandidat für die ÖDP, Walter Haefeker, betonte, dass der Schlüssel zum Erfolg die Zusammenarbeit mit den Landwirten sei. Er sehe eine Lösung zum Pflanzenschutz beispielsweise in der intelligenten Digitalisierung landwirtschaftlicher Maschinen.

Die Kandidatin der Grünen, Andrea Schulte-Krauss, sprach sich vor allem gegen die „unsägliche Erweiterung der Gewerbegebiete“ aus. Zudem plädierte sie für ein Agieren auf Landesebene, um die nötigen Ziele für Arten- und Klimaschutz zu erreichen.

Christiane Feichtmeier, Landtagskandidatin der SPD, plädierte u.a. für eine größere Ausweitung und stärkere Vernetzung der Schutzgebiete sowie die konsequentere Umsetzung und Kontrolle von Artenschutzmaßnahmen.

Die Kandidaten von CSU, FDP und Freien Wählern waren aus Termingründen verhindert, hatten jedoch jeweils schriftliche Statements eingereicht, die von Günter Schorn verlesen wurden. Der Landtagskandidat der Freien Wähler wurde zusätzlich durch den Bürgermeister von Pöcking, Rainer Schnitzler vertreten.

(Text und Fotos: Ch. Starostzik)